Episode 1 oder: "Wie die Ghoul-Busters zu ihrem Spitznamen kamen"

Seine linke Hand unter seiner grauen, von Motten angefressene Kutte verborgen, die knöchrige Rechte einen Wanderstock umklammernd, schlurft der betagte Mönch gedankenverloren durch das Unterholz und in die Abenddämmerung hinein. Das schlohweiße Haar, das stellenweise unter dem Aufschlag der Kapuze im Wind tanzt, wird nur von der bleichen Gesichtsfarbe des Großväterchens vergangener Tage übertroffen. Seine Augen wirken müde, aber auch irgendwie schockgeweitet, die Wangen eingefallen. Die quälende, langsame Fortbewegung des Alten ruft schon beinahe Mitleid hervor.

"Wohin des Wegs, Reisender?", fragt der Zwerg und selbsternannte Party-Chef namens Garon Harpel und blickt dem müden Wanderer schräg von unten in die Augen. Ein gehetzt wirkender Seitenblick, noch langsamere Schritte, dann der Blickkontakt und die Antwort:

"Ich bin auf der Flucht!"

Die Gesichtszüge des Zwergen entgleisen; wie schon so oft ist die Überraschung, die sich im Gesicht des im Schaukelstuhl sitzenden Spielers widerspiegelt, selbst von einem imaginären Gesichtsausdruck des Zwergencharakters kaum zu übertreffen. Ungläubig fällt seine Kinnlade nach unten; sein geöffneter Mund nimmt die Dimensionen eines Scheunentors an. (Für die Mimik des Spielers vergeben wir hier die Höchstnote).

Ein irritierter Seitenblick des Zwergen verrät: auch der wackere, mit schlichtem Wildleder bekleidete ElfenRanger Elandriel und der vorlaute Barde Shylock Aspenspring haben diesmal keine passende Antwort parat.

"Ich bin auf der Flucht.", wiederholt der Greis als Entschuldigung und humpelt einen Schritt weiter.

Im Hintergrund erkennt Garon Harpel einen feist grinsenden Magier Avaarg de Noor und einen, sich vor Lachen seinen - mit weltlichen Annehmlichkeiten sehr verwohnten - Bauch haltenden Tymora-Priester Fürchtegott.

"Soso. Ihr seid auf der Flucht.", findet der Zwerg seine Stimme wieder. "Und wovor?"

"Machte der Dunkelheit. Inkarnationen des Bösen. Horden von Untoten. Lebende Verfaulte Stinkender Unrat.", antwortet der Mönch stammelnd und humpelt einen Schritt weiter."

"Meint der damit nur eine Gruppe armer Schweine oder gleich mehrere?", fragt der diabolisch grinsende Magier und erkennt ein wortloses Achselzucken des TymoraPriesters.

"Und wo?"

"Dort hinten in der Burg.", gibt der Mönch schnell zurück, wirft einen knappen Blick über seine Schulter und schlurft "im Eilmarsch" auf den Schutz versprechenden Waldrand zu.

Die Burg wirkt kalt und verlassen. Der Magier levitiert nach einer Burgumrundung auf die Zinnen und Elandriel bedient sich eines Seiles, weil der DM das geöffnete Tor nicht erwähnt; schließlich hat kein Spieler dezidiert danach gefragt.

Dann endlich die Konfrontation. Nach dem "Eindringen" in die Festung findet sich das Fünfergespann in einem Raum wieder und koordiniert peinlichst genau die weitere Vorgehensweise.

"Und was Jetzt?"

Shylock gähnt, Avaarg kratzt sich am Ohr, müde Blicke fallen auf die im Schatten liegenden Einrichtungsgegenstände.

"Und was Jetzt?"

Da reißt plötzlich ein Ghoul eine Tür auf; durch den Spalt werden bei den spärlichen Lichtverhältnissen Silhouetten einer ganzen Armee Untoter sichtbar.

"Nee, nee. Entschuldigt. Einen Moment. Raus.", ruft Garon Harpel und der überraschte Ghoul - vielleicht auch der überraschte DM - schliesst die Tür von aussen. Dann kramt der Zwerg - mit dem in den Forgotten Realms berühmt und berüchtigten Namen einer völlig irren Magierfamilie - in Windeseile in seinem gut sortierten Rucksack. Die Finger gleiten an Dutzenden von Potions und Spruchrollen vorbei; mittlerweile weiß man wenigstens in der Größenordnung von 30 Prozent, was man da mit sich herumschleppt. Nach einer Weile glättet sich der Krähenfuß auf der Stirn des Zwergen, vermutlich, weil er auf der Suche nach einem hoffentlich endlich mal brauchbaren Hilfsmittel fündig geworden ist. Er nickt grinsend, eine Spruchrolle in Händen haltend und verstaut sie in Griffweite. Nach wortloser Verständigung, das heißt: treudoofen Blicken, Achselzucken, Nägelkauen und darüber hinaus einem stark ermutigenden Gähnen des Barden reißt der vermutlich einzige Magier-Kämpfer-Priester-Zwerg der Realms die Türe auf.

"Was gibt s?"

"Unser Meissster will Euch einladen." - Ein versammeltes "Huh?".

"Unser Meisssßßter will Euch einladen."

"Wozu Denn", fragt der Magier wortkarg, begleitet von einem skeptischen Rundumblick.

"Unser Meisssßßßzzzter will Euch einladen, weil er gleich Geburtssszztag hat. Unser Meisssßßßzzzzter wird nämlich 200 Jahre alt."

Nach einigen Blickkontakten der Entschluß: "Na super. Dann eben 'ne Party."

Kurz vor Mitternacht vermuten die Gäste angesichts des wenig geschmückten Raumes und der - von Fürchtegott lauthals verfluchten - ärmlich aufgefahrenen Speisen und Getränke, daß die Party nicht gerade Kurzweil verspricht. Der Gastgeber sitzt derweil auf seinem Thron und blickt hinunter auf die Schar seiner treuen, wenn auch ohnehin ziemlich willenlosen, Untertanen. Ein verschmitztes Grinsen ziert sein dunkles Antlitz, knallgelbe Augäpfel glühen gierig und tiefschwarzen Höhlen, seine ellenlangen Fingernägel sind in den Lehnen verkrallt.

Dann beginnt der Countdown für die 200-Jahr-Feier...

"Zehn, neun, acht.."

Die Ghouls rücken bedrohlich näher; Geifer tropft aus zahlreichen Mündern, Überreste von Zungen lecken an Ober- und Unterlippen und man versteht, was von der Mehrzahl der Gäste als Nachtisch betrachtet wird. Garon Harpel greift zu der Spruchrolle, die er vorsorglich in seinen Gürtel gesteckt hatte.

"Sieben, sechs, fünf."

Garon reißt die Spruchrolle an sich, zieht sie auseinander und rezitiert die Zeilen in rasantem Tempo.

"Was ist das?", fragt Avaarg leise.

"Ein Geschenk der ach so weisen Göttin Tymora, mit dem man wirklich böse Buben, also verderbte Geschöpfe des falschen Glaubens, das wahre Licht der unvergleichlichen...", antwortet Fürchtegott nahezu unhörbar, der Zwischenpart geht in einem Stöhnen des Magiers unter. "Wetten, das wird lustig?"

"Zwei, eins, nulll"

Ein Pfeil surrt von der Sehne eines Elfenbogens, der magiebegabte Zwerg beendet seinen Spell - zeitgleich mit dem Magier- eine Serie von magischen Geschossen elektrisiert den Raum. Der Priester wundert sich, daß das erste Mal in seinem Leben seine Schleuder das macht, was sie machen soll; auch der Pfeil des Barden trifft.

Das Geburtstagskind, automatisch von allen Freunden als primäres Ziel ausgemacht, sinkt mit vermutlich hundert Punkten unter Konsti langsam in seinem Thron zusammen und Fürchtegott stellt zufrieden fest:

"Tja, er wurde genau 200 Jahre alt. Ganz genau." ...und während eines zünftigen Happy-Birthday-Songs und zahlreichen, gnadenlosen Umtextungen bekannter Volks und Pop-Lieder, sausen die Waffen des Chaoten Quintetts auf die übrigen und beinahe bemitleidenswerten Untoten herunter. Der Magier tönt mit der Melodie von Soft Gell's "tainted love" die trefflichen Zeilen: " Sometimes I know, I've got to - get away..": eine Ermutigung, der die verzweifelnden Ghouls nach den ersten Blessuren dankbar folgen. Gleichzeitig, weil's Spaß macht und sich lohnt, zupft Shylock Aspenspring auf seiner Harfe den Vorspann eines altbekannten Liedes, das nur eines neuen Textes bedarf, was schließlich allen To-Hit-Würfen eine lockere Plus eins beschert. Die Freude gröhlen sich heiser und von den Wänden hallt's zurück:

"Ein Ghoul, ein toter Ghoul, das ist das Beste was es gibt auf der Welt..."

Die irritierten Ghouls, die Prügel beziehen ohne austeilen zu können, weil wohlweislich keiner der "Helden" die enge, schützende "Protection from evil"-Aura verläßt, fliehen in wilder Panik. Und weil eine Tür nicht genug Raum zur Flucht verspricht, öffnen die netten Gastgeber den Partygästen gleich auch alle Geheimtüren.

"Wohin? "

"Immer den meisten hinterher.", schlägt der Waldläufer vor. "Alles andere später."

Und viel, viel später, heute nämlich, wenn man durch das zerklüftete Highmoor wandert: Habt keine Angst, wenn zwei riesengroße humorvolle, grüne Drachen durch die Lüfte gleiten und lauthals verkünden, was das Beste ist, was es gibt auf der Welt. Dabei fällt mir ein: Wo ist eigentlich der Sekretär? Aber das ist eine andere Geschichte...

H. Schoppmann

Verantwortlich für diese Webseite ist Andrea Wille zuletzt aktualisiert am 2. Januar 2000
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