Episode 2 oder: "Die Sache mit dem Sekretär"

Sein Erscheinungbild glich dem Prototyp eines asiatischen Meisterkämpfers. Gewandt sowohl was die Geschmeidigkeit seiner Fortbewegung als auch die seiner Waffenfertigkeiten anging. Hocherhobenen Kopfes in allen Lebenslagen, wagemutig in gefährlichen Konfrontationen, immer bereit, seine Kameraden aus bedrohlichen Situationen unter Einsatz seines Lebens zu befreien. "Meine Ehre ist mein Leben", ist ein Spruch, den man ihm durchaus zugetraut hätte, obwohl er solch defensive Formulierungen niemals bewußt in den Mund nahm; vielmehr sehen Freund und Feind in ihm einen tapferen und gerechten Recken, der sich höchst selten auf philosophische Pfade begab; er war ein Mann der Tat: allzeit bereit mit gezückten Schwertern und tollkühner Rede die Blicke aller Feinde auf sich zu ziehen, was den Kameraden schließlich Zeit und Gelegenheit zur Einstellung auf die Lage geben konnte.

Der Kleidung und der Ausrüstung nach das Abbild des Hyper-Helden, der in Legenden beschrieben wird und von dem der altseitebekannte Meistersänger Shylock Aspenspring mit seiner Harfe zahlreiche Reaktionen bei Kundgebungen in Kaschemmen und besseren Gasthäusern heraufbeschwor.

"Und Ihr wart wirklich bei ihm? Mit ihm seid Ihr ausgezogen und habt weite Ebenen durchstreift, zerklüftete Gebirge erklommen und die Tiden der großen Ozeane gemeistert? Tag und Nacht an seiner Seitet?"

Doch irgendwann war's dann mit den nichtssagenden und immer wiederkehrenden Verlautbarungen des Publikums vorbei. Irgendwann nämlich, wenn der eine oder andere Gast nach den zahlreichen Lobeshymnen auf die unkonventionellen Erfolge des großen Helden entweder ungläubig seinen Kopf schüttelte oder aufgrund seiner obskuren Erfolgsrezepte letztendlich laut prustend die Hälfte des gerade getrunkenen Edelbräus über Theke und Tische verteilte. Andere wiederum, die schon im Vorfeld an einigen Abenteuererzählungen über diesen Recken teilhaben durften, klatschten sich nur lachend auf die Oberschenkel, weil man dem Super-Helden selbst in Alptraumszenarien, in den nur denkbarsten, absolut verfahrensten Situation, noch immer einen Kniff oder Trick zutraute.

Eine Frage wurde dem Barden letztendlich aber immer und immer wieder gestellt:

"Und Ihr seid immer noch am Leben?"

Und das, meine Freunde, das ist der Punkt. Auf den Punkt gebracht war der Superheld nämlich eindeutig ein Magnet für außergewöhnliche Ereignisse. Klar stimmt es, daß er mit seinen Handlungen die Blicke aller Feinde auf sich zog; das Problem war nur, daß es im Vorfeld an sich gar keinen Feind gab, auf den die Reisenden sich hätten vorbereiten müssen. Und Zeit, Zeit war ebenfalls eine Kostbarkeit, wenn man mit dem Helden reiste, dessen Name leider nicht überliefert ist.

Zur Gruppe stieß der ehemalige, in zahlreichen waffen und waffenlosen Kampfarten spezialisierte Leibgardist eines reichen Händlers in einer der größten Metropolen des Kontinents. Er nannte seinen Namen und auf die Frage der Freunde, welchen Posten er innehabe und über welche Fähigkeiten er verfüge, erklärte er, daß er Sekretär sei - vermutlich weil er lesen und schreiben konnte.

Der Sekretär im folgenden immer nur mit seinem Titel angeredet, war ein Meister des Kampfes - den keiner haben wollte. Den Kampf, meine ich. Voll des Zorns, Übereifers und maßlos übersteigerter Selbsteinschätzung schaffte der Recke es jedoch meist, Dank seines vorlauten Organs - eine nicht endende Lawine aus Pandoras Büchse zu beschwören und ungeschoren zu überleben. Bis dann eines ereignisreichen Tages ein riesengroßer grüner Drache am Horizont durch die dichte Wolkendecke brach und Kurs auf die Abenteuergruppe nahm, was den Sekretär im Anflug eines größenwahnsinnigen Gedankens dazu verführte, seine Waffen zu ziehen, bevor die Freunde überhaupt reagieren konnten.

"Pack die Dinger weg, oder ich klopfe Dir die Birne breit.", war - mehr oder weniger sorgfältig zitiert - die erste Äußerung des Zwergen Garon Harpel, als der die Kurzschlußhandlung des Superhelden bemerkte.

Im folgenden stellte man sich brav dem Drachen vor, erzählte ihm, daß er ein unvergleichliches Äußeres hätte, um der Eitelkeit des geflügelten Gegenübers zu schmeicheln. Der Zwerg hatte gleichwohl sogar die Idee, den Barden zu fragen, ob dies nicht der Drache sei, dessen Heldentaten er ständig in seinen Heldenliedern zum Besten gab.

"Na Klar", erinnerte sich Shylock Aspenspring, während er sich am Kopf kratzte, schlagartig und komponierte noch schnell aus dem Stehgreif eine nette Ode...., was die im Volkmund bekannten Party-Crasher, diesmal zu keinem Kampf sondern zu einer friedvollen Koexistenz mit dem Drachen bei wohltuenden Getränken und anderweitigen Genüssen verhalf. Der Sekretär derweil, dessen erste Reaktion vom Drachen durchaus wahrgenommen worden war, durfte mit einem Messerchen seine Schuppen von Unrat und winzigem Getier befreien. Und auch hier war der Sekretär ein Meister, was den Drachen zu einer ernstgemeinten Frage verleitete:

"Wieviel wollt Ihr für den haben?"

Nach einem schnellen Rundumblick hatten Priester, Magier, Zwerg und Barde verschiederste Antworten parat, die alle in die gleiche Richtung zielten:

"Das können wir nicht machen!"

"Wir können da doch kein Geld für nehmen!"

"Betrachtet ihn doch als Geschenk!!!"

Dem Sekretär wurde - angesichts seiner zukünftigen ruhmreichen Karriere - irgendwie ziemlich komisch und mulmig zumute, was anhand der moderaten Sprüche, die der Held sich diesmal verkniff, schnell offenkundig wurde. Der Drache aber entdeckte gleichzeitig auch das ganze Ausmaß von Verantwortung, das er sich mit diesem Prachtmenschen aufhalsen konnte und fragte kleinlaut:

"Wieviel ißt der eigentlich so am Tag?"

Der Sekretär - den Ausweg aus der prekären Lage vor Augen - faßte Mut:

"Ich esse mehr, als alle anderen zusammen!", und wies dabei - selten so gelacht - auf den Tymorapriester und Genießer aller weltlichen Kostbarkeiten Fürchtegott, den plötzlich hungrig dreinblickenden Garon Harpel, den Ranger Elandriel und den Barden, beide keine Kostverächter und letztendlich den hageren Magier, den er wohl geschafft haben könnte. Selbst der Drache vermutete bei dieser Äußerung, daß da ein wenig Übertreibung im Spiel sein müsse, erhob sich und kehrte wenige Minuten später mit zwei Rindern zurück.

"Das hier für euch, der hier für Dich!"

Der Sekretär, der angesichts dieser Aufgabe kurz davor war das Kotzen zu kriegen, lief bleich an; übergeben hat er sich während dieser Probe letztendlich auch. Nachdem der Sekretär nämlich keinen Bissen mehr herunterzukriegen drohte, und der Tymora-Priester sich ein Herz faßte, um den armen Kerl aus der Bedrouille zu befreien, gingen die beiden ins Gebüsch, woraufhin ein Command des Priesters, nämlich "Kotz", folgte. Leider hatte der arme Verwirrte nichts besseres zu tun, als dem Drachen zu erzählen, daß er sich gerade nur mal kurz habe übergeben müssen. Der Tymora-Priester, seine Göttin und die Welt nicht mehr verstehend, nahm nach dieser Offenbarung von purer Dummheit seitens des Sekretärs ein Stück Holz, das trefflich für eine Grabinschrift taugen sollte und ritzte langsam hinein:

"Hier ruht.. - der Sekretär. Ein einziges Mal in seinem Leben nahm er den Mund nicht voll genug."

Der Drache, in Folge kurz DM abgekürzt, aber gab dem verwirrten Menschen, der einen Anblick des Jammerns bot, eine weitere Chance, seine Dummheit zu überleben. Er habe in Zukunft seinen Hort sauberzuhalten, auf daß die Münzen in einem Licht erstrahlen würden, wie glitzerndes Wasser bei einem prächtigen Sonnenaufgang an der See.

Aber der Sekretär hatte angesichts der Schätze nichts besseres zu tun, als zu überprüfen, ob nicht ein schönes Stück für seine eigene Sammlung dabei wäre und forderte den DM auf, den Hort zu beschreiben. Nach einigen Überlegungen, die sich aus der Aufzählung prächtiger Dinge ergaben, verwarf der Sekretär schnell seinen ersten Gedanken, einen Gürtel umzulegen. Schließlich konnte es sich ja um einen Gürtel des Geschlechtswandels handeln, und er müsse, wenn dies wirklich so wäre, ein Leben lang als Frau herumlaufen. Eine Vorstellung, die unserem prächtigen Recken nicht gerade schmeckte. Also entschied er sich für eine Mütze.

Der DM - das hat man davon, wenn man solche Gedankengänge mitteilt, grinste. Später grinste auch der Drache und schenkte dem Sekretär, der seit dem Aufsetzen der Mütze nunmehr als Sekretärin tituliert wird, ein prächtiges Abendkleid, während der Magier sich schwor, sich in seinem ganzen Leben niemals mehr zu verlieben; wer weiß, auf was man treffen kann...

Holger Schoppmann

Verantwortlich für diese Webseite ist Andrea Wille zuletzt aktualisiert am 2. Januar 2000
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