Episode 5 oder: "Die Medizin des Orients"

Die Mittagssonne brennt gnadenlos auf die südliche Metropole herunter. Die Freunde, die es sich mittlerweile in einem Gasthaus gemütlich gemacht haben, geben sich alle Mühe - so der flugs getroffene Konsens - in einer gewissen Konkurrenz die gegenüber dem normalen Status quo deutlich spürbare Divergenz an Körperflüssigkeit, die sich aus der Interdependenz zwischen Aufenthaltsort und Klima dieses "Backofens" ergibt, mit aus Trauben gewonnener Essenz auszugleichen. Und zwar nach allen Regeln der Kunst!

Der Barde bestellt gerade seinen bestimmt fünften Krug, der Magier philosophiert in leicht angeschrägter Denkerpose lallend über Sinn und Unsinn eines göttlichen Auftrags, der Waldläufer schielt in die Gruppenkasse und versucht nach allen Regeln der Kunst einen Mengenrabatt beim Wirt durchzusetzen. Kurz: alle fühlen sich wohl, was zum Teil daran liegen mag, daß Tymorapriester Fürchtegott und der Multiclass-Zwerg Garon Harpel zur Zeit anderweitig unterwegs sind und derzeit keine Diskussion über größte Macht und höchste Weisheit verschiedener Gottheiten stattfindet. Schließlich erzählte Garon Harpel noch am Abend zuvor wiederholt jedem, der es nicht hören wollte, daß er vom Zwergengott Vergadain persönlich eingeladen worden war, an dessen Tafel - ihm gegenübersitzend - über dies und jenes ein wenig geplaudert, dabei leckere Flüssigkeiten getrunken und so nebenbei auch einen Auftrag erhalten habe. Eine Geschichte, die die Freunde mittlerweile Vorwarts und rückwärts und vermutlich sogar in völliger Dunkelheit mittels Zeichensprache wiedergeben können. Daß nämlich ein böser, böser Priester einer bösen, bösen Gottheit sich mit bösen Absichten und bösen Kumpanen daran gemacht habe, mittels eines merkwürdig bösen Giftes, das durch böse Ratten übertragen wurde, das liebe und friedfertige Volk der Zwerge in übelster, Hinterhaltigster und natürlich böser Art und Weise unfruchtbar zu machen und somit zum Aussterben zu verdammen. "Böse Sache!" Und während der Magier sich noch immer die Frage stellt, warum der Zwergengott den ganzen Kram nicht selbst erledigt, wenn die Zwergenrasse aus seiner Sicht so schützens- und rettenswert sei, der Barde grinsend der rothaarigen, orakelhaft grinsenden Bedienung zunickt und Elandriel dem Wirt mit der Linken ein weiteres Goldstuck zuschnippt, während seine Rechte zum Einsatz kommt, um seine jüngst verschossenen und wiedergefundenen Pfeile auf Tauglichkeit zu überprüfen, wird 's woanders wissenschaftlich.

"Eine wahrlich interessante Geschichte.", erklärt der vorstehende Tymorapriester des örtlichen Tempels und nickt Garon Harpel zu, während Fürchtegott in höchstem Maße interessiert die exotische Einrichtung des Tempels bestaunt.

"Nun, natürlich muß man eine solche Geschichte höchst wissenschaftlich herangehen. Muß doch rauszukriegen sein, warum du unfruchtbar bist und keine Kinder kriegen kannst."

Die Kinnolade des Zwergen fällt herunter. Seine rechte Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger erhebend, um dieses unglaubliche Mißverständnis aufzuklären und gleichzeitig mit grollender Stimme den Redefluß des Priesters unterbrechend:

"Ich kann Kinder kriegen!"

"Aber du sagtest doch gerade.."

"Ich bin nicht unfruchtbar.", begehrt der Zwerg wiederholt auf. "Ich bin nämlich als Baby zu der Familie Harpel gekommen und dort aufgezogen worden."

"Nachträglich mein Beileid.", flüstert Fürchtegott grinsend, sich wohlweislich an diverse Geschichten über Experimente an und Schicksale von Tieren bezüglich des immensen Wissens- und Forscherdurstes dieser Magierfamilie erinnernd.

"Trotzdem brauchen wir einen Test, ob du wirklich gesund bist."

"Klar bin ich gesund!"

"Was zu beweisen wäre."

"Ach ja? Ist gerade eine hübsche Zwergenfrau hier und hättet Ihr neun Monate Zeit?"

"Bah. Hier, nimm mal den Becher!"

Garon nimmt den leeren Becher, schielt hinein und blickt den Priester mit großen Augen fragend an.

"Na, mach schon!"

"Was machen?", fragt Garon brüsk. Schließlich weiten sich seine Augen in der Erkenntnis, was der Priester da von ihm verlangt.

Fürchtegott steht derweil - noch übler und gemeiner grinsend als zuvor - wieder neben den beiden und mischt sich in die Unterhaltung ein:

"Wie soll er das denn machen?"

Ein nicht verstehender Blick des Calimporter Priesters erkennt einen haßerfüllten Blick des Zwergen, der hochrot anläuft und seine Stimme zu erheben droht.

"Na, was ist jetzt mit dem Test?", fragt der örtliche Tymorapriester, während der andere, vorlaute Priester, der den Zwerg schon lange kennt, seine rundliche Figur "elegant" aus der unmittelbaren Gefahrenzone herausbringt.

"Ich habe die Krankheit nicht!", begehrt Garon sichtlich entnervt auf und verbirgt die Scham, die ihm in seinem Gesicht geschrieben steht, durch einen Seitenblick.

"Selbst wenn nicht. Dazu müßte man trotzdem versuchen herauszukriegen, inwieweit der Samen von Zwergen beeinträchtigt werden kann.", fährt der hochgewachsene Priester fort. "Muß man schließlich alles analysieren."

"Aber ich kann doch nicht..."

"Wußt' ich s doch!", bringt Fürchtegott lachend heraus, wobei er seinen gutgenährten Resonanzkörper vollends einsetzt und ausnutzt, und klatscht belustigt in die Hände.

- was im übrigen auch die Freunde in der Herberge lauthals losgröhlen läßt und für diverse themenbezogene Artikulationen sorgt (mag sein, da war Telepathie mit im Spiel?). -

Ein strafender Blick, ein Räuspern: "Äh, ich meine, ich kann doch nicht hier, selbst und überhaupt..."

Der Priester nickt verstehend und erklärt todernst dreinblickend:

"Wir haben einige sehr attraktive Priesterinnen hier, wenn das helfen kann?"

Garons Augen treten aus ihren Höhlen hervor, schockgeweitet.

"Äh, nein, bloß das nicht..." Der örtliche Priester blickt erstaunt.

"Oder sollte es dann doch lieber ein männliches Anschauungs..."

Die Kinnlade des Zwergen fällt tiefer als jemals zuvor und wird in Höhe des Fußbodens unsanft abgebremst.

"Jetzt ist's aber gut!", schallt es entrüstet zurück, während der Tymorapriester Fürchtegott - auf verlorenem Posten - gegen seinem Lachkrampf ankämpft.

"Kommt gar nicht in die Tüte.", stellt Garon abschließend fest.

"Soll ja auch nicht in die Tüte, soll in den Becher." entgegnet der örtliche Priester.

Fürchtegott ist derweil definitiv einem Herzkranzgefäßkartarr näher, als jemals zuvor in seinem bisherigen, jungen Leben. Selbst der ansonsten so stoisch gelassene örtliche Tymorapriester zaubert während seines Ausspruches ein Lächeln in sein Gesicht. Der wackere Zwerg dagegen ist völlig fertig. Mit lautem Gezeter und einem "Vergadain hilf!" - worauf Fürchtegott meint, daß ein Mann manchmal völlig auf sich allein gestellt ist und ohne Hilfe von irgendeiner Seite eigenständig für etwas kämpfen muß, selbst ohne Hilfe eines Gottes - ergibt Garon Harpel sich schließlich in sein schweres Schicksal. Nicht nötig zu erwähnen, daß Fürchtegott letztendlich dafür zu sorgen hatte, daß Garon den göttlichen Auftrag nicht vergesse und alles tun müsse, um der göttlichen Weisung Folge zu leisten. Es gehe ja immerhin darum, dem Volk der Zwerge einen Weiterbestand zu sichern.

"Oder willst du etwa, daß an einem Gedenkstein steht: Die Zwerge sind ausgestorben und Garon ist Schuld, weil er nicht wußte, was man mit dem winzigen Ding machen muß?"...

...Aber wer sagt schon, daß Rollenspiel immer leicht sein und allen Spielern die ganze Zeit lang Spaß machen muß. Während der Spieler des Charakters Garon Harpel am Tisch schwitzte (was rollenspieltechnisch bezüglich der heißen Stadt Calimport für gutes Rollenspiel eigentlich einige Bonuspunkte verdient hätte) und womöglich die beiden magischen Worter "HAVE MERCY" im Sinn hatte, haben alle übrigen Mitspieler sich jedenfalls köstlich amüsiert. Und der weibliche Spielleiter wohl auch.

H. Schoppmann

Verantwortlich für diese Webseite ist Andrea Wille zuletzt aktualisiert am 2. Januar 2000
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